Liebschti Ory...so unglaublich es scheint, so jährt sich bald dein physisches Weggehen und ich weiss eigentlich nicht, wie es sein kann, dass dies bedeutet, dass ich einen Fünftel deines Lebens nun ohne dich erlebt habe. Wir reich sind alle diese Zeiten, welche wir gemeinsam verbringen durften. Wieviel haben wir gelacht, Mayra, Yarin, du, ich und aba. Und wie reich das letzte Jahr war, an Erfahrungen, die ich eigentlich nie hätte machen wollen. Immer wieder geschieht es, dass ich irgendwo bin und denke, wie "nichtig" alles um mich herum ist, wie unwichtig im Weltenganzen: Geldsorgen, Benzinpreise, Pensionskasse, so gar pädagogische Fragestellungen rücken irgendwie weit weg. Im Kopf ein Zitat von Konstantin Wecker:
Jeder Augenblick ist ewig, wenn du ihn zu nehmen weißt, ist ein Vers, der unaufhörlich Leben, Welt und Dasein preist.
Alles wendet sich und endet und verliert sich in der Zeit. Nur der Augenblick ist ewig. Gib dich hin und sei bereit.
Wenn du stirbst, stirbt nur dein Werden. Gönn ihm keinen Blick zurück. In der Zeit muss alles sterben, aber nichts im Augenblick.
Dein Geburtstag, der erste im Himmel, war ein wunderschöner, wolkenloser und heller Sonnentag. Genau so, wie du es gemocht hättest, dass wir baden können gemeinsam. Wir sind von Thun in den Bonstettenpark gelaufen, es gab Seifenblasen, eine Tischbombe und ganz viele giftgrüne Muffins mit Fröschen drauf (Wossis). Zwischendurch konnten wir schwimmen...alle deine lieben Leute waren dabei, und die, die nicht da sein konnten, waren in Gedanken bei uns. Du fehlst, dein lustiges Lachen, dein Kichern, dein Kuscheln, dein nach "Chalav" schreien am Morgen, deine tausend Bastelecken, deine Geburifeiern für die Stofftiere, dein Schummeln beim Fussball, wenn wieder einmal ein Tor nicht zählt, weil du zu klein bist. Wieviele Male haben wir uns gestritten am Morgen, weil du Kleider anziehen wolltest, die nicht für den Chindschi war. Jetzt vermisse ich die Morgen, wo du schreiend mit Fussballsocken im Gang standest und gemeint hast, du würdest jetzt sofort so zu Frau Bäriswil gehen. Liebe Oryana, Tag für Tag bist du unsere Lehrerin und ab und zu schaffen wir es auch, die schwere Trauer, welche sich wie eine Decke über uns gelegt hat, aufzuhellen und in ein helles Lachen zu verwandeln. Es gibt einen arabischen Gedichtband, er heisst "die Flügel meines schwerenz Herzens". Welch schöne Beschreibung, so dass du uns helfen kannst, ab und zu diese Flügel aufzuspannen und zu fliegen.
Wir haben dich unendlich lieb, unsere Sternentochter
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