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AutorenbildLena Ashkenazi Stettler

Oryana Lia 2016-2021, Nr. 1

Aktualisiert: 1. Okt. 2021

Am Lago Maggiore, 30. September 2021, spätabends


Ich erinnere mich an ein Gedicht aus dem Deutschunterricht: und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne...Ja lieber Hermann, das war für mich immer ein schönes Wort, schnell zitiert, wenn es um Abschied und Neubeginn geht. Und nun? Fast hämisch lacht mich dieser Satz an. Und jetzt, was machst du mit mir? scheint er zu fragen. Ja, was kann ich schreiben? Wo sollte der Anfang sein? Wofür schreibe ich überhaupt? Es sind mittlerweile etwas mehr als zwei Monate vergangen, seit Oryana Lia nicht mehr bei uns ist.


Der 15. Juli 2021 ist mein Geburtstag, der Geburtstag von meinem zweiten Leben. Vielleicht auch erst der 19. Juli, als morgens um 02.00 unsere geliebte Tochter Ory mit fünf Jahren und zwanzig Tagen in unseren Armen gestorben ist. Es gibt ein Leben vorher. Vor dem Unfall und Saint Julien. Es gibt ein Leben nachher. Was erhalten geblieben ist sind unsere Erinnerungen, und Orys Koffer, selber gepackt für ihre Reise zu Safta Tami, wie sie selber kommentiert hat, bevor wir in die Ferien gefahren sind.


Eine Schülerin hat mir einmal von einem Traum erzählt. Sie steht vor durchsichtigen Kugeln. In diesen Kugeln spielen sich Szenen aus ihrer Kindheit ab. So sehe ich sie teilweise, unsere Szenen:


Ory mit dem verschmitzten Lachen mit ihrem Bruder. Ory beim zu schnellen Ski fahren. Ory beim Kerzen bemalen und auf dem Radieslihof. Ory beim Klettern während dem Nachtessen. Ory beim Tschüss sagen im Kindergarten. Ory mit Aba Oren auf Entdeckungsreise in den Ferien. Ory mit Yarin und Mayra beim Spielen. Wenn ich daran zurückdenke merke ich: es sind nur glückliche Szenen. Sogar als meine Schwiegermutter gestorben ist im Februar, Oren in Israel war und wir Zuhause in Quarantäne wegen Covidfällen an der Schule: wir waren glücklich. So traurig der Tod dieser Grossmutter war, so erfüllt war ihr Leben. Diese Szenen gehören zum Leben eins, welches am 19. Juli zu Ende war.


Neue Szenen werden geschrieben, nur weiss die Regie noch nicht genau, wie sie zusammenpassen. Ich stelle es mir so vor: wir sind vier Personen, die alle eine schwere Krankheit haben. Die Krankheit ist dieselbe, nur der Punkt im Prozess unterschiedlich. Das ist die Herausforderung. Unsere Herausforderung. Und dieser stellen wir uns in jeder Sekunde neu. Alle von uns.


688 Ansichten4 Kommentare

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4 Comments


Sarah Jacoby
Sarah Jacoby
Oct 01, 2021

Liebe Lena ❤️, danke für dein Wort geben. Es ist wundervoll, dass du diesen Blog schreibst und Ausdruck gibst! Damit die Energie hinaus kann, in die Weite des Kosmos. Sich nicht im Innern verstecken wird. Mich berühren sie tief, deine Worte, eurer Erleben und dieser Schmerz, einen geliebten Menschen zu verlieren, sein Kind... so jung. Ja, darüber wissen wir so wenig. Wohin geht die Seele, wenn sie den irdischen Körper verlässt? Ist es möglich, weiter in Verbindung zu bleiben. Sind wir immer geführt? Auch über den Tod hinaus? Ich wünsche euch von Herzen alles Liebe, mögen alle Wesen Befreiung finden.✨ Danke auch dir, liebe Ory! 🙏🏻

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Lena Ashkenazi Stettler
Lena Ashkenazi Stettler
Oct 01, 2021
Replying to

Liebe Sarah, herzlichen Dank für deine Worte, es tut immer wieder gut, im Austausch zu sein und zu wissen, dass viele Menschen an Oryana denken.

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Regula Stettler
Regula Stettler
Sep 30, 2021

Und es gibt einen Satz von Shakespeare, der mir hier in den Sinn kommt:


Der Kummer, der NICHT spricht,

Nagt am Herzen bis es bricht.


Deshalb schätze ich es sehr, dass du von deinem sprichst, auch wenn es traurig ist.... Auf dass unsere Herzen nicht brechen oder versteinern mögen....

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Regula Stettler
Regula Stettler
Sep 30, 2021

Das ist ein trauriger, ehrlicher und auch schöner Text, Lena.

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